Bojadžijev, Manuela. Die windige Internationale
Rassismus und Kämpfe der Migration
›Sport ist Völkerverständigung‹, dachte sich der bayrische Handballerverband und wird
der Bitte der Nationalmannschaft aus Sri Lanka, zu mehreren Freundschaftsspielen nach
Deutschland reisen zu dürfen, gerne nachgekommen sein. Dass sie nach unzähligen Niederlagen
spurlos verschwanden, war irritierend, hatte aber wohl mit dem gekränkten Stolz
der Gäste zu tun. Doch dann stellte sich heraus, dass es in Sri Lanka gar keine Handball-
Nationalmannschaft gibt und es sich um eine gut geplante Aktion illegaler Einwanderung
handelte. - Das ist eines der vielen Beispiele für die „Autonomie der Migration“, die Verf.
untersucht hat. Einwanderungspraktiken, die das staatliche Kalkül unterlaufen, sind neben
Legalisierungskampagnen, Aktionen gegen die Arbeitsvermittlung (etwa die „Wir sind keine
Sklaven“-Demonstration 1972), wilden Streiks, eigenmächtigen Mietminderungen und Stadtteilmobilisierungen
Formen sozialer Kämpfe, die nicht ins Bild von den ›Gastarbeitern‹ der 1960er und 70er Jahre passen.
Das gilt besonders für die Linke. In ihrer Orientierung auf Klassenkampf nahmen Studenten-,
Sponti- und K-Gruppen Migranten zunächst nur als Instrumente der Kapitalakkumulation
und Teil der ›industriellen Reservearmee‹ in den Blick. Im Vertrauen auf die ›Einheit der
multinationalen Arbeiterklasse‹ gingen die politischen Gruppen über die unterschiedlichen
Lebensbedingungen und rassistischen Konflikte in der Klasse hinweg, um die Migranten
umstandslos zur Avantgarde der revolutionären Bewegung zu erklären. „Rassismus gerät
allein zum funktionalen Instrument der ideologischen Spaltung der Arbeiterklasse, die Kritik
staatlicher Migrationspolitik, der Verweigerung von Bürgerrechten und alltäglicher Diskriminierungspraxis
fehlte weitgehend und verschwamm im Postulat selbstverständlicher Einheit
des internationalen Klassenkampfes oder in der Formel ›Ihr Kampf ist unser Kampf‹.“ (191)
Heute redet die Linke weniger vom Klassenkampf. Rassismus wird von seinen Gegnern als
›menschenverachtende Ideologie‹ verstanden, die vom ›Diskurs‹ oder ›den Medien‹ produziert
sei, in weiten Teilen der Bevölkerung subtil und bei wenigen unmittelbar handlungsanleitend
wirke und dem mit Gegen-Aufklärung zu begegnen sei. Mit anderen Worten: Wer wann
subjektiv wie objektiv vom Rassismus betroffen ist, bleibt weitgehend unklar, der Rassismus
selbst dem Zusammenleben äußerlich. Die Erinnerung an die Geschichte migrantischer
Kämpfe, aber auch der Auseinandersetzungen zwischen Migranten und Linken, ist angesichts
dieser Ausgangslage in zweierlei Hinsicht produktiv: zum einen lenkt sie die Aufmerksamkeit
auf eine gesellschaftliche und historische Dynamik des Rassismus, die von den Kämpfen
gegen ihn abhängt (eine „relationale Theorie des Rassismus“, 46f), zum anderen sensibilisiert
sie für Probleme der Ausbildung politischer Identitäten (heute nicht unbedingt bezüglich der
Avantgardeposition des migrantischen ›Massenarbeiters‹, aber etwa des ›Prekariers‹).
Diese Geschichte wird im historischen Hauptteil detailliert erzählt. Anhand umfassenden
empirischen Materials (Interviews, Presseberichte, Selbstdarstellungen, Flugblätter, interne
Dokumente) zeichnet Verf. die migrantischen sozialen Kämpfe um den Aufenthalt als solchen,
die Situation in den Betrieben sowie die „Ausdehnung des Fabrikregimes auf sämtliche Bereiche
des gesellschaftlichen Lebens“ nach (205). Wer weiß schon, dass die Bestimmungen des ›Gastarbeitersystems›
durchaus als Mechanismen zur Regulation (und nicht Ingangsetzung) der
ohnehin stattfindenden Migration gelten können oder dass eine Neuregelung des Kindergeldes
zehntausend Migranten zu Demonstrationen mobilisieren konnte? Auch die „Rekuperation“
dieser Kämpfe - „Prozesse [...], in denen subversive Praxis für die Modernisierung der bestehenden
Verhältnisse funktionalisiert wird und schließlich nur als affirmierendes Moment erhalten
bleibt“ (228) - ist zu wenig aufgearbeitet, als dass die Darstellung ›bloß historisch‹ wäre.
Doch vor den Lohn haben die Götter die Arbeit gesetzt - der Schilderung der Kämpfe um
Migration hat Verf. einen anspruchsvollen theoretischen Teil vorgeschaltet, der zwar ohne die
Definitionsexzesse bekannter Beiträge zum Thema auskommt (›Was ist Rassismus?‹, ›Begriffsund
Ideengeschichte‹ ›Die wichtigsten Erklärungsansätze‹), dessen Bezug zum Hauptteil aber
nicht immer offensichtlich ist. Das rassistische, aber auch das rassisierte Subjekt bestimmt
Verf. mit der Ideologietheorie Althussers: das strukturelle Bedürfnis des Individuums nach
einem kohärenten Selbstbild werde in der Anrufung durch die Staatsapparate befriedigt. In
die imaginären Identifikationen und entsprechenden „rassistischen Artikulationen“ (32) gehe
empirisches wie fiktives Material ein, dessen Verknüpfungen die Diskursanalyse - ein zweiter
theoretischer Fixpunkt - untersuche. Weil Identifikationen auf Institutionen und Apparate
angewiesen seien, in ihrer Pluralität aber zugleich durch diese eingeschränkt werden, könne
Zugehörigkeit (etwa zur Nation) als Produkt hegemonialer Auseinandersetzungen gelten. Es
sind diese Kämpfe, die rassistische und widerständige Subjekte erst hervorbringen, weshalb
es auch angebracht sei, von den „Kämpfen der Migration“, nicht der Migranten zu sprechen.
Ein wichtiger Kampfplatz ist dabei der Staat. Angelehnt an Poulantzas wird sein Rassismus als
„Ausdruck der Institutionalisierung der durch die internationale Arbeitsteilung durchgesetzten
Hierarchien“ (41) begriffen; so stünden etwa auf der „einen Seite [des Kräfteverhältnisses] die
Interessen der Unternehmen, Arbeitskräfte anzuwerben, auf der anderen Seite die Autonomie
der Migration“ (146). Ideologietheorie (Althusser), korrigiert mit politischer Diskursanalyse
(Pêcheux), ist Referenzpunkt dieser „relationalen Theorie des Rassismus“: dem Gesichtspunkt
der Reproduktion soll so eine Möglichkeit zur „Ent-Identifizierung“ (34) gegenübergestellt
werden. Die These von der „Autonomie der Migration“ widerspreche dem relationalen Ansatz
nicht, so ein Klärungsversuch am Ende des Buches (283f). Beabsichtigt sei nicht die Glorifizierung
von Migranten als ›revolutionäre Subjekte‹, wohl aber gelte es zu bedenken, dass sich
Bewusstsein gerade in - zunächst legalistischen - Kämpfen bilde. Unter Autonomie sei hier
die ›Rest-Subjektivität‹ von Migranten zu verstehen, die zwischen Staatsapparaten und NGOs
nicht zerrieben wird.
Das analytische Kapitel gehört nicht zur Stärke der Arbeit und wirkt - wie die Skizzierung
vergleichbarer Projekte und die Abgrenzung vom mainstream der Migrationsforschung, die in
weiteren Vorüberlegungen unternommen werden - wie eine akademische Pflichtübung. Der
Reiz des Buches liegt ohne Frage in der historischen „Anwendung“, die auch ohne Durchdringung
des Theorieteils mit Gewinn zu lesen ist.
Link zum Buch
DAS ARGUMENT 279/2008