Widersprüche

Heft

162

Alltag - Alltagspraxis - Alltagstheorien

Die Auseinandersetzung mit Alltag und Alltäglichkeit ist konfrontiert mit einem grundlegenden Spannungsverhältnis: Stellt der Alltag den Ort gesellschaftlicher Veränderungsprozesse dar oder einen Hort der Verweigerung jeder Transformation? Dieses Spannungsverhältnis wurde alltagstheoretisch ganz unterschiedlich bearbeitet und hat zu unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Reaktionen geführt. Während ethnografische Zugänge oder lebensweltorientierte Konzepte zu einer ‚Verselbstverständlichung' alltagstheoretischer Perspektiven geführt haben, war die jüngere Vergangenheit eher von einer Dethematisierung von Alltag und Alltäglichkeit geprägt. Diese Gleichzeitigkeit von Selbstverständlichkeit und Stillstand wird in jüngster Zeit durch eine neue Auseinandersetzung, u.a. im Bereich der Literatur, durchbrochen: Von Perec, Ernaux, Eribon und Louis in der französischen Belletristik bis zu jüngsten deutschsprachigen Arbeiten von Mayr, Acar, Oskamp oder Güngör gelingt eine Sensibilisierung für gesellschaftliche Verhältnisse und deren Wirkungen – im Alltag der Menschen. An dieser sensibilisierenden Perspektive setzt das Schwerpunktheft der Widersprüche an und möchte das Potenzial einer alltagstheoretischen Perspektive ebenso ausleuchten und diskutieren wie die gesellschaftstheoretischen und -analytischen Möglichkeiten einer Reflexion von Alltagspraxis und Alltäglichkeit – gerade auch in institutionalisierten Kontexten.