Trotzki, die Psychoanalyse und die kannibalischen Regime

Trotzki nimmt im Kreis der marxistisch orientierten Revolutionäre eine Sonderstellung ein – nicht nur als Revolutions-Theoretiker und -Historiker, sondern auch als Literaturkritiker und Freudomarxist. Für die Verwandtschaft der beiden kritischen Gesellschaftstheorien, des Freudschen biologischen und des Marxschen historischen Materialismus, hatte er ein untrügliches Gespür, und wie Max Horkheimer erkannte er die Bedeutung der Psychoanalyse für Geschichtsverständnis und Historiographie. Galt die Studie Freud, Trotzki und der Horkheimer-Kreis (2019) der Klärung des Verhältnisses der Soziologen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung zu den Theorien ihrer Kollegen und Zeitgenossen Freud und Trotzki, so ist der hier vorliegende Band dem Verhältnis Trotzkis zur Freud‘schen Theorie gewidmet. Um dessen Verteidigung der Psychoanalyse, seine Übernahme psychoanalytischer Konzeptionen und die über seine Schriften verstreuten Psychoanalytica zu verstehen, bedarf es der Vergegenwärtigung seines Lebens in der Ära der kannibalischen Regime (Stalins und Hitlers). Dieser Kontextualisierung dienen auch die Begleittexte, vor allem der große Essay über die Moskauer Prozesse, den "Archipel GULag" und den Holocaust.