Die Schärfe der Konkretion

Reinhard Strecker, 1968 und der Nationalsozialismus in der deutschen Historiografie

Der Jahrzehntwende von den 1950er zu den 60er Jahren kommt eine wichtige Rolle in zwei historischen Großerzählungen zu. Für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus gilt sie als Wendepunkt vom Verleugnen hin zu Auseinandersetzung und Aufarbeitung. Zugleich finden sich hier die Anfänge der Jugend- und Studentenbewegung, die 1968 ihren Höhepunkt erreichte. Diese erinnerungspolitische Konstellation wird in dreierlei Hinsicht aufgenommen. In West-Deutschland war es damals eine kleine Zahl von Einzelpersonen, die an die NS-Vergangenheit rührte, darunter der Student Reinhard Strecker. Einem Gespräch mit dem früheren Aktivisten, dessen Aktion Ungesühnte Nazijustiz 1959/60 öffentlich für Wirbel sorgte, folgt ein Essay, der die Entwicklung des Verhältnisses der 68er-Bewegung zum Nationalsozialismus beleuchtet und sie als eine Art Schwundgeschichte rekonstruiert. Ein weiterer Essay prüft die Substanz der erinnerungspolitischen Großerzählung von der erfolgreichen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Fraglich erscheint es, ob die Geschehnisse zu Zeiten Streckers als Vorgeschichte eines zwar spät, aber doch noch einsetzenden Reifeprozesses der Bundesrepublik aufgefasst werden können.